Social distancing – warum fällt uns das so schwer?

Der Begriff steht für eine Maßnahme zur Krankheitsbekämpfung, nämlich die räumliche Distanzierung zwischen Menschen um die Verbreitung einer Krankheit z.B. über Hautkontakt oder Tröpfcheninfektion zu verringern.   Dabei ist die Bezeichnung Social Distancing – also „soziale Distanzierung“ – eigentlich nicht passend. Sie suggeriert eher das Gegenteil von dem, worum es geht. Es geht um die Vermeidung körperlicher Nähe, nicht um die soziale Nähe, die Menschen verbindet.

Warum ist das eine Herausforderung?

Social Distancing schränkt Menschen in gleich drei der psychischen Grundbedürfnisse ein:

Das Bedürfnis nach Bindung begleitet uns von der Geburt bis zum Tod. Menschen sind „Herdenlebewesen“. Wir streben immer nach Kontakt und nach Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft oder Gruppe. Egal ob in der Partnerschaft, Familie, als Schüler, im Beruf, als Deutscher als Christ oder Moslem. 

Eine besondere Rolle kommt dabei auch dem Körperkontakt zu. Aufgrund der sozialen Distanzierung fällt Körperkontakt zu anderen Menschen weg. Dies betrifft den einfachen Handschlag bei der Begrüßung sowie liebevolle Umarmungen von Freunden. Bei Körperkontakt kommt es zur Ausschüttung von Hormonen wie Oxytoxin.  Dieses Bindungshormon löst ein positives Gefühl aus und kann sogar zur Stressreduktion führen. Wenn diese Art Kontakte wegfallen, fühlt man sich weniger geborgen, ist eher gestresst und das Gefühl des Alleinseins wird präsenter.

Betroffen ist weiter das Bedürfnis nach Autonomie und Kontrolle. Auch dieses begleitet uns von Kind an bis zum Tod. Mit der verordneten Kontaktsperre verlieren wir die Entscheidungsgewalt darüber, wohin wir gehen wollen und mit wem wir uns wann und wo treffen wollen.

Die Corona-Krise stellt uns außerdem vor eine für alle völlig neue Herausforderung. Keiner kennt belastbare Wahrheiten. Die Zukunft liegt im Nebel. Kontrolle über das was kommt, können wir nicht erreichen. Wir können keine Vorsorge treffen. Planan ist nicht möglich. Das kann einen deutlichen Einfluss auf unser Gefühl von Innerer Ruhe und Sicherheit haben.     

Lebensfreude - Inneres Kind

Das Bedürfnis nach Lustbefriedigung heißt, dass wir immer danach streben positive Dinge zu erleben. Wir wollen Unangenehmes vermeiden. Die aktuelle Situation überschüttet uns mit unangenehmen Nachrichten. Es gibt unschöne Einschränkungen unseres normalen Lebens. Wir werden gefordert Unlustempfinden und Frust zu regulieren. Wir müssen negative Emotionen wie auch Unsicherheiten, Angst oder Wut aushalten. Weglaufen ist nicht möglich.  

 

Wie gut wir mit diesen Einschränkungen umgehen können, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Stark betroffen sind einsame Personen und Menschen, die Schwierigkeiten mit und in sozialen Beziehungen haben. Aber auch für extrovertierte Personen mit einem großen Freundeskreis und vielen Hobbys, die in Gruppen stattfinden, ist die Einschränkung einschneidend.

Und die persönliche Lebensgeschichte und die unseres Inneren Kindes spielt eine Rolle.

Für Menschen, die in der Kindheit wenig gute Bindung erfahren haben, kann sich der Rückzug der Kontaktpersonen wie eine Ablehnung ihrer Person anfühlen. Es können Verlustängste entstehen. Unserer Innerer Erwachsener ist gefordert, das Innere Kind an die Hand zu nehmen. Es geht darum, diesem Anteil in uns zu erklären, dass der Rückzug „verordnet“ ist. Er steht in keinem Zusammenhang zur eigenen Person.

 

Für Menschen, für die Autonomie und Kontrolle ganz wichtig ist, weil diese beiden Grundbedürfnisse in der Kindheit nicht gut erfüllt werden konnten, kann diese Zeit eine ganz besondere Herausforderung sein. Wenn wir als Kinder stark eingeschränkt wurden und dies jetzt wieder erleben, dann können alte Emotionen von Angst oder Ohnmacht, aber auch große Wut und Ärger aufbrechen. Sie produzieren womöglich Konflikte, verhindern, dass wir uns an Regeln halten oder führen zu unkontrolliertem Handeln.

Was kann helfen, damit umzugehen?

Face-to-face Kontakte aktiv auf andere Art ersetzen.

Das bedeutet für Viele von uns, wenn es nicht nur um das Telefon oder E-Mail geht, auch die Bereitschaft sich auf Neues, vielleicht auch auf bisher Abgelehntes einzulassen. Es ist wichtig, geduldig mit uns und mit den anderen zu sein, wenn es um das Ausprobieren und Lernen von neuer Technik geht. Die Möglichkeit neben der Stimme den Anderen auch zu sehen, Mimik und Gestik zu erleben, ist hilfreich und schafft ein Gefühl der Verbundenheit, trotz der räumlichen Distanz.

Tipps für Kontakte: 

  • auch für virtuellen Verabredungen oder Telefonaten feste, regelmäßige Termine vereinbaren
  • Ungewöhnliches probieren: sich per Skype zum Kaffeetrinken oder auf ein Glas Wein mit Freunden zu verabreden, jeder in seinem zu Hause
  • Kontakt zu alten Freunden reaktivieren

Den Alltag bewahren. Es kann helfen, Alltagsroutinen für die Zeit zu Hause oder auch für das Homeoffice festzulegen: Aufsteh- und Schlafenszeiten, Zeiten für Kaffeepausen und Sport, Telefonate oder Spazierengehen.  

Alltagsrituale bewusst positiv erleben: das gemeinsame Essen mit der Familie oder die Gelegenheit, in Ruhe den Kleiderschrank aufzuräumen. So geht man abends mit dem guten Gefühl ins Bett, sich sinnvoll beschäftigt zu haben.

Platz für Positives: Schöne Musik oder Lieblingsfilme, Brettspiele, alles was Spaß macht und eine Entschleunigung bewusst wahrnehmen.

Zeit für Aktivsein fest einplanen: Sport zu Hause, Spaziergänge oder Radfahren. Auch Yoga oder Mediationen bauen Stress ab. 

Wenn alles zu viel wird, kann es helfen mit Menschen darüber zu sprechen und man sollte sich auch nicht scheuen, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

Ich stehe auch in dieser Zeit zur Verfügung. Ich biete Einzeltherapiestunden sowie Videoberatung über Skype oder Zoom an.

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